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Deutsch als Fremdsprache und die Grammatik des Deutschen: Über die Fruchtbarkeit des fremden Blicks

Vorbemerkung: Wenn Noam Chomsky (z. B. 1981) statt von "deep structure" und "surface structure" von "D-structure" und "S-structure" spricht, so wendet er dasselbe Verfahren an, das Bertolt Brecht bewog statt "Verfremdungseffekt" "V-Effekt" zu sagen, und zwar nicht nur rein formal, indem er das Bestimmungswort eines Nominalkompositums durch eine Initiale ersetzt, wie es auch in Wörtern wie U-Bahn oder E-Gitarre geschieht, sondern in ganz bestimmter inhaltlicher Absicht, nämlich wegen der Verfremdung. Der V-Effekt, so erläutert Brecht (z. B. 1967: 362), dient dazu, das Selbstverständliche unverständlich zu machen und dadurch dem Verstehen erst richtig den Weg zu bereiten. Genau dies bewirken, auf anderer Ebene, auch Termini wie "V-Effekt", "D-Struktur" und "S-Struktur", indem sie nämlich die scheinbar selbstverständlichen Alltagskonzepte VERFREMDUNG, TIEFE und OBERFLÄCHE unverständlich und damit ihren wissenschaftlichen Gebrauch möglich machen. Die Strategie der Verfremdung, die Brecht im "Kleinen Organon" (1967: 662) und andernorts ausdrücklich als grundlegend für "ein Theater des wissenschaftlichen Zeitalters" kennzeichnet, ist ebenso grundlegend für die Wissenschaften selbst, zumindest für diejenigen vom Menschen, in denen dem Verstehen eine zentrale Rolle zukommt. Im Folgenden soll weder von Chomsky noch von Brecht die Rede sein, aber es soll um die Nützlichkeit des fremden Blicks gehen, der das Selbstverständliche als Unverständliches wahrnimmt und dadurch dem Verstehen den Weg bereitet.

DOI: https://doi.org/10.37307/j.2198-2430.2000.04.06
Lizenz: ESV-Lizenz
ISSN: 2198-2430
Ausgabe / Jahr: 4 / 2000
Veröffentlicht: 2000-12-01
Dokument Deutsch als Fremdsprache und die Grammatik des Deutschen: Über die Fruchtbarkeit des fremden Blicks