Inhalt der Ausgabe 03/2010
Inhalt
Aufsätze
Der Beitrag schlägt vor, den zeitlich paradoxen ästhetischen Intensivierungseffekt verstetigter Neuartigkeit als poetische Emergenz zu bezeichnen und wendet den Begriff in einem Versuch narratologisch angeleiteter Lyrikanalyse auf die Poetik Morungens im Allgemeinen und auf das „Narzisslied“ im Besonderen an. In dem für Morungen spezifischen Verhältnis von Visualität und Klanglichkeit erweist sich nicht nur, wie Zeit prinzipiell narrativ vorkonstruiert werden muss, um immer neu überschritten zu werden. Das „Narzisslied“ zeigt überdies, wie sich die mediale Qualität des anti narrativen lyrischen Diskurses hier darüber bestimmt, visuelle Distanz durch die Kontaktkategorie des Klanges aufzuheben.
Die Freundschaftsstrophen des Kanzlers und Walthers von Breisach werden vor dem Hintergrund der amicitia-Behandlung Walthers von der Vogelweide und Spervogels als Neuerungen in der Spruchdichtung fasslich: An die Stelle der Gemeinschaft von Alter und Ego stellen die Schulmeister die Idee eines für sich stehenden Ich, das bei Walther von Breisach zudem einen Innenraum entwickelt, der dem Ego zugehört und nicht von der Freundschaft abhängig ist. Die Freundschaft wird dabei unterschiedlich hierarchisiert: Der Kanzler ordnet sie der Verwandtschaft über, Walther von Breisach ordnet sie der Minne unter.
Der Aufsatz widmet sich einem seit Jacob Grimm (1826) bekannten, bislang aber ungelösten Problem der mhd. (und mnl.) Wortbildungslehre, Syntax und Lexikographie: einer Reihe von Adjektiven und Adverbien, die mit dem an sich steigernden Präfix bor(e)- gebildet sind, aber in verneinender Bedeutung gebraucht werden können. Die Untersuchung zeigt, dass die Bildungen im Ahd. nur in negierten Sätzen und stets in der Stilfigur der Litotes vorkommen. Diese litotische Bedeutung der bor(e) Bildungen war bereits lexikalisiert, als sich der Wandel von der ahd. zur mhd. Negationssyntax vollzog, wie das Fehlen von niht in durch ne/en negierten Sätzen mit bor(e)-Bildungen im Frühmhd. zeigt; ne/en ist hier also pleonastisch geworden.
In der vorliegenden Studie wird anhand zahlreicher Originalbelege aus der Zeit von 1815 bis heute die Geschichte des Nebeneinanders der zur Bildung des Partizips Präsens eingesetzten Formanzien -(e)ndik und -(e)nd im Ostjiddischen nachgezeichnet. Schwerpunkte der Darstellung sind die Chronologie des Vorkommens von -(e)nd, die Einteilung der ostjiddischen Quellen in Gruppen je nachdem, welchen Status -(e)nd darin besitzt, die syntaktische Distribution von -(e)ndik und -(e)nd in Texten, in denen die zwei Formanzien kookkurrieren, und schließlich das Wiederauftreten von -(e)nd, das im weltlichen Schriftjiddisch bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dem ererbten Formans -(e)ndik hatte weichen müssen, im modernen ultraorthodoxen Jiddisch.
Die Periodisierung der deutschen Sprachgeschichte folgt verschiedenen Erkenntnisinteressen. Dies zeigt sich insbesondere in der Diskussion um die Mitte des 20. Jh.s als Beginn einer neuen sprachgeschichtlichen Periode des Deutschen: Neben genuin linguistischen Erkenntnisinteressen ist diese Diskussion insbesondere auch durch politische, soziale und didaktische Interessen geprägt, die für die germanistische Sprachwissenschaft von entscheidender Bedeutung sind.
Miszelle
The Old High German poem known as “Christus und die Samariterin”, a paraphrase of John 4.6-20, is preserved in the space that remains after the last entry of the Carolingian “Annales Laureshamenses” in Österreichische Nationalbibliothek 515, fol. 5r (with a brief emendation on the preceding folio), and it is written in a different hand than that responsible for the Latin chronicle preceding it. Like all remnants of Old High German verse, it has been edited and reproduced many times without significant variation.
Tagungsbericht
Obwohl das anthropologische Themenfeld von ‚Gabe, Tausch, Geschenk‘ seit vielen Jahren die Aufmerksamkeit der Geistes- und Kulturwissenschaften erregt – Mauss und Derrida sei Dank –, ist die Liebesgabe als literaturwissenschaftlicher Gegenstand überraschenderweise bisher kaum in den Blick geraten. Zwar widmete sich die Forschung den Diskursivierungen von Gabe/Geben und Liebe/Begehren, doch finden sich bisher nur einzelne Versuche, beide Phänomene systematisch zusammenzuführen und so das diskursive Konflikt- und poetologische Reflexionspotenzial der Liebesgabe für eine genauere Analyse fruchtbar zu machen. Auf dieses Desiderat reagierte eine von Margreth Egidi, Ludger Lieb und Mireille Schnyder gemeinsam durchgeführte Doppeltagung unter dem Titel ‚Liebe schenken‘, die in Kiel vom 10. bis 12. Dezember 2009 und in Zürich vom 6. bis 8. Mai 2010 stattfand.
Buchbesprechungen
Der Verfasser legt in dieser Einführung eine umfassende und übersichtliche Darstellung dessen vor, was die Literaturgeschichten als germanische Heldendichtung zu bezeichnen pflegen. Er hat sich gründlich mit den einzelnen Zeugnissen vertraut gemacht, verfügt souverän über den Stoff und bietet durchaus eine ‚wissenschaftliche Monographie‘ seines Gegenstandes, auch wenn er dies nicht beanspruchen will (S. VI).
Wie entstand in produktionsästhetischer Perspektive der höfische Roman? Wie hat man sich die konkreten poetischen Arbeitsschritte und Arbeitsweisen vorzustellen, unter denen diese hochmittelalterliche Texte – gearbeitet meist nach französischen oder lateinischen Vorlagen – bis zu einem Umfang von 20 oder 30 000 Versen verfasst wurden, die ein adlig-laikales, wohl meist illiterates Publikum im Auge hatten?
Dass im 13. Jahrhundert für alle Lebensbereiche die Schriftlichkeit – sowohl in lateinischer wie auch in deutscher Sprache – stark zunimmt, ist eine bekannte Tatsache. Im Bereich des Rechts handelt es sich um eine Veränderung in zweifacher Hinsicht: Neben lateinischen entstehen deutsche Schriftstücke, und mündliche Verfahrensweisen werden mehr und mehr in die Schriftlichkeit überführt.
Das Symposium, das der vorliegende Band dokumentiert, feiert die (vorläufige) Fertigstellung des „Repertoriums der Sangsprüche und Meisterlieder“, das eine der großen Leistungen der jüngeren deutschen Mediävistik darstellt, an der sämtliche philologischen Tugenden – Sachkunde, Fleiß, Sorgfalt – Anteil haben. Ein enormes Material ist damit auf mustergültige Weise erschlossen.
Die vorliegende Veröffentlichung ist die Druckfassung einer von Elvira Glaser betreuten Züricher Dissertation (2004). In der Einleitung werden Ausgangslage und Zielsetzung sowie das Vorgehen und der Aufbau der Arbeit behandelt. „Teil I“ der Arbeit „Methodische Vorklärungen“ besteht aus den Kapiteln 2 „Glossierungsschichtung und Eintragungstypen“ (S. 41–60) und 3 „Die Griffeleintragung als Eintragung vom Typ B“ (S. 61–92).
Die Mittelhochdeutsche Grammatik von Hermann Paul, deren inzwischen 25. Auflage hier zu besprechen ist, hatte in der Erstauflage von 1881 einen Umfang von knapp 80 Seiten. Bis zur 10. Auflage von 1918, der letzten von Hermann Paul selbst betreuten, war sie bereits auf ca. 240 Seiten angewachsen. In gewisser Weise hatte also schon Paul selbst begonnen, sich von der ursprünglichen Konzeption einer „kleinen grammatik … für studenten“ (1. Aufl. S. V) zu entfernen.
Mit der Darstellung zur Flexion des Deutschen ist ein weiteres Bändchen in der sehr nützlichen und durch kluge Autorenwahl guten Reihe „Kurze Einführungen in die Germanistische Linguistik“ erschienen. Die Autoren eröffnen mit dem treffenden Hinweis auf die stiefkindliche Rolle, die der Flexion im Rahmen der Grammatikographie im Allgemeinen zukommt. Umso mehr ist diese Einführung, die damit zugleich auch eine große Lakune füllen will, zu begrüßen.
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